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Armin Risi
Philosoph • Autor • Referent
Radikal umdenken – neue Wege und Weltbilder

Ging Jesus nach Indien?

Eine Untersuchung der Quellen und Motive dieser Theorie
Über den Notowitsch-Bericht, Prof. Hassnains Angaben,
das Yuz-Asaf-Grab in Srinagar und das Turiner Grabtuch

von Armin Risi

Die Suche nach den Quellen

Seit Anfang der achtziger Jahre sind im deutschsprachigen Raum verschiedene Publikationen erschienen, die die Theorie vertreten, Jesus habe für eine gewisse Zeit in Indien gelebt. Hierbei gibt es zwei verschiedene Varianten:
(1) Jesus habe vor dem Beginn seines öffentlichen Wirkens, irgendwann zwischen seinem zwölften und dreißigsten Lebensjahr, Indien besucht.
(2) Jesus sei nach der Kreuzigung nach Indien und/oder Kaschmir gereist, da er die Kreuzigung überlebt habe bzw. gar nicht gekreuzigt worden sei. In der Hauptstadt von Kaschmir, Srinagar, könne heute noch sein Grab besucht werden.
1981 berichtete Erich von Däniken in seinem Buch Reise nach Kiribati von seinem Besuch in Kaschmir, wo er einen Prof. Hassnain interviewte. Dieser sagte über Jesu Tod und Grab in Kaschmir: „Die Beweiskette ist lückenlos. Sie kann vor jedem Gericht bestehen.“ (S. 219)

Bereits im Jahr 1973 war dieser Mann, Prof. Fida Mohammed Hassnain, als Autorität in Deutschland zitiert worden, nämlich in der deutschen Illustrierten stern (Nr. 16, „Jesus starb in Indien“).

Ein ganzes Buch widmete damals der Autor Siegfried Obermeier diesem Thema: Starb Jesus in Kaschmir? Das Geheimnis seines Lebens und Wirkens in Indien. Dieses Buch wurde von demselben Verlag veröffentlicht, in dem auch Erich von Dänikens erste Bestseller erschienen waren (Econ-Verlag).

Große Resonanz fand dieses Thema, als im Jahr 1983 Holger Kerstens Buch Jesus lebte in Indien auf den Markt kam.

Im Jahr 1984 berichtete eine andere deutsche Illustrierte, die BUNTE (Nr. 47, „Wo starb Jesus wirklich?“), über die Kaschmirreise einer dubiosen Forschungsgruppe unter der Führung von Kurt Berna alias Hans Naber alias John Reban. Dieser hatte bereits im Jahr 1957 eine Schrift mit dem Titel „Jesus ist nicht am Kreuz gestorben“ veröffentlicht. Der BUNTE-Artikel ist allerdings etwas kritisch, da der besuchte Prof. Hassnain sich damals gerade in der peinlichen Lage befand, daß das von ihm angekündigte Datum der Wiederkunft Jesu (21. März 1983) offensichtlich falsch gewesen war.

Im Englischen hatte es schon früher diesbezügliche Veröffentlichungen gegeben. 1976 erschien ein Buch von A. Faber-Kaiser mit dem Titel Jesus died in Kashmir. Auch dieser beruft sich auf F. M. Hassnain und auf eine Schrift, die vom Imam der Londoner Moschee, J. D. Shams, erstmals im Jahr 1939 veröffentlicht worden war: The Tomb of Jesus Christ in India. Diese Spur führt zur islamischen Ahmadiyya-Splittergruppe, die von Ghulam Ahmad (1839 – 1908) gegründet wurde. Dieser hatte sich selbst als Messias bezeichnet und behauptete auch als erster, Jesus sei in Srinagar begraben.

Es ist nun wichtig zu wissen, daß im Islam die Meinung vorherrscht, Jesus sei nicht am Kreuz gestorben, sondern ein anderer Mann sei an seiner Stelle gekreuzigt worden. Demgegenüber behauptet der jüdische Talmud, Jesus sei sehr wohl am Kreuz gestorben (in Folge einer gerechtfertigten Kreuzigung), aber nicht auferstanden. In dieser wichtigen Frage widersprechen sich also der Talmud und der Koran.

Neben den islamischen Quellen berufen sich die Vertreter der Jesus-in-Indien-Theorie auch auf alte tibetische Schriften, die der russische Journalist Nikolaj Notowitsch gesehen haben will.

Wie glaubhaft ist Notowitschs Zeugnis? Was hat es mit dem angeblichen Jesus-Grab in Srinagar auf sich? Wie fundiert sind die Arbeiten von Obermeier, Kersten u. a.?

Als Antwort auf die vielen Diskussionen veröffentlichte der deutsche Indologe und Tibetologe Dr. Günter Grönbold im Jahr 1985 eine wissenschaftliche Kritik der genannten Bücher und Autoren. Auf dieses 152-seitige Buch mit dem Titel Jesus in Indien – Das Ende einer Legende (Kösel-Verlag, München 1985) stützen sich die folgenden Ausführungen.

Die Wahrheit über Notowitschs Bericht

Die meisten Autoren berufen sich ausführlich auf den Reisebericht La vie inconnue de Jésus-Christ von Notowitsch, der im Jahr 1894 in Paris erschien. Im gleichen Jahr erlebte dieses Buch mehrere Auflagen und wurde sogleich in andere Sprachen übersetzt, u. a. auch ins Deutsche (Die Lücke im Leben Jesu, 1894).

Keiner der modernen Autoren scheint sich die Mühe gemacht zu haben, dieses Buch selbst aufzutreiben und zu lesen, ganz zu schweigen davon, die historischen Quellen zu untersuchen. Der Fachmann Günter Grönbold hat dies jedoch getan, und was dabei zu Tage kommt, ist zwar schon lange bekannt, aber leider längst vergessen oder verschwiegen.

In seinem Buch berichtet der Kosaken-Offizier Notowitsch, wie er als Korrespondent der Petersburger Zeitung „Novoje vremja“ im Jahre 1887 verschiedene buddhistische Klöster in Kaschmir und Ladakh besucht habe. Er beschreibt seinen beschwerlichen Weg nach Leh, der Hauptstadt von Ladakh, er schildert, wie beim Dorf Haiena einer seiner Diener von einem Panther angefallen und getötet wird; in verschiedenen Klöstern hört er, daß Jesus bei den dortigen Buddhisten bekannt und sehr angesehen sei, denn Jesus habe selbst diese Gegend besucht, wie aus alten Schriften hervorgehe, die ihm der Abt im Kloster von Hemis gezeigt und vorgelesen habe: „zwei dicke, in Pappe gebundene Bücher“.

Da Notowitschs Buch sogleich ein solch großes Aufsehen erregte, blieb es nicht aus, daß weniger leichtgläubige Fachleute diese Geschichte überprüfen wollten, zumal die (angebliche) Reise des Herrn Notowitsch erst sieben Jahre zurücklag.

Über Korrespondenz fragt der bekannte Indologe Max Müller in Ladakhs Klöstern nach und findet bereits Mitte 1894 heraus, daß dort ein Russe namens Notowitsch nicht bekannt sei.

Im Sommer 1895 reist der englische Professor J. Archibald Douglas nach Ladakh und versucht, Notowitschs Spuren zu folgen. Doch im Dorf Haiena dementieren alle Bewohner, daß dort in den vergangenen Jahren ein Mensch von einem Panther gerissen worden sei; das sei noch nie vorgekommen, da es dort gar keine Panther und auch sonst kaum Raubtiere gebe. In Leh kann Prof. Douglas nachweisen, daß Notowitsch dort tatsächlich durchgereist ist; doch im Kloster Hemis kennt ihn niemand. Der Abt, der dort schon seit fünfzehn Jahren dieses Amt innehat, erklärt gegenüber Prof. Douglas eidesstattlich mit Unterschrift und Siegel, daß Notowitsch nie bei ihnen gewesen ist, daß die Buddhisten erst von den Europäern und Missionaren von Jesus gehört haben, daß er nie jemandem aus einem Buch über das Leben Jesu vorgelesen habe, da es in ihrem Kloster ein solches Buch gar nicht gebe. Über andere Schilderungen aus dem Notowitsch-Buch stellte der Abt entrüstet fest: „Lüge, nichts als Lüge!“ (Der Bericht von Prof. Douglas erschien im April 1896 in der Fachzeitschrift Orientalische Bibliographie.)

Eine weitere und endgültige Entlarvung erfuhr Notowitschs Buch im Oktober 1896, als der französische Executive Engineer des indischen Staates, A. Favre, der von 1886 bis 1889 in Kaschmir stationiert gewesen war und Notowitsch im Oktober 1887 angetroffen hatte, in der „Gazette de Lausanne“ Details über dessen Aufenthalt in Kaschmir veröffentlichte; nur wenige Daten stimmen mit Notowitschs Reisebericht überein; alle anderen sind mit den echten Reisedaten rundweg unvereinbar und nur schon im Hinblick auf die Zeitangaben der angeblichen Entdeckungsreise unmöglich: „Lügen und Aufschneiderei … von Anfang bis Ende“, so lautet das abschließende Verdikt.

Dennoch wird Notowitschs Buch heute noch und immer wieder als verläßlicher Bericht angeführt, insbesondere von Kersten und Obermeier. Doch diese Autoren verschweigen geflissentlich, daß Notowitsch in seinem Buch deutlich zum Ausdruck bringt, daß Jesus am Kreuz gestorben und auferstanden sei.

Günter Grönbold führt auch weitere Argumente an, die zeigen, wie grundfalsch viele von Notowitschs Angaben sind, z. B. über die Sprache der angeblichen Manuskripte, die Form dieser „über 1500 Jahre alten“ Texte („zwei dicke, in Pappe gebundene Bücher“!), Angaben über Orte aus diesem angeblichen Bericht über Jesu angebliche Reise (Orte, die es vor zweitausend Jahre noch gar nicht gegeben hat!), usw.

Notowitsch war aber nicht einmal der erste, der mit einer solchen Geschichte an die Öffentlichkeit getreten ist. 1863 hatte der Schriftsteller Ernest Renan (1823 – 1892) mit seinem Buch Vie de Jésus einen großen Erfolg verzeichnet, und Notowitsch sagt, er habe Renan gekannt und ihm sogar noch kurz vor dessen Tod sein Manuskript gezeigt.

In diesem Zusammenhang müssen auch die Bücher von Louis Jacolliot (1837 – 1890) erwähnt werden, denn seine „indischen Studien“, die er ab Mitte der siebziger Jahre veröffentlichte, waren ebenfalls sehr einflußreich gewesen und werden immer wieder zitiert, bis zum heutigen Tag. Jacolliot war von 1865 bis 1868 als Richter in Indien tätig gewesen und ging dann nach Tahiti. Ab 1870 begann er dort, seine ersten indischen Wunderberichte niederzuschreiben. Schon 1888, also noch zu Jacolliots Lebzeiten, wurde nachgewiesen, daß er keine indischen Sprachen beherrschte, schon gar nicht das Sanskrit, und daß die meisten der Zitate, die er anführt, frei erfunden sind. Einige der Schriften, die er gesehen und im Originaltext studiert haben will, gibt es nicht einmal dem Titel nach! Dennoch veröffentlichte er Bücher wie La Bible dans l’Inde. Vie de Jezeus Christna. Obwohl er in Wirklichkeit nur wenige Jahre in Indien gelebt hatte, sagt er, er habe all seine sensationellen Erkenntnisse auf langen Reisen in Indien gewonnen.

Eine Auferstehung feierten Jacolliots „Erkenntnisse“ in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus, als Mathilde Ludendorff, die Frau von General Ludendorff, polemische antikirchliche Werke veröffentlichte: Erlösung von Jesus Christo und Von neuem Trug zur Rettung des Christentums. Dabei beruft sie sich ausgiebig auf Jacolliot und lobt dessen wissenschaftliche Arbeit, die von ihrem Vater, dem „Sanskritforscher“ Bernhard Spieß, geprüft und für richtig befunden worden seien. Wie mittlerweile hinlänglich nachgewiesen ist, hat auch Herr Spieß, genau wie Herr Jacolliot, nie etwas von Sanskrit verstanden.

Jesu Grab in Srinagar?

Der erste, der verkündete, das Grabhäuschen „Rauzabal“ in der Khanyar-Straße in Kaschmirs Hauptstadt Srinagar sei das Grab Jesu, war Mirza Ghulam Ahmad (1839 – 1908).

Es lohnt sich, einiges über ihn zu wissen. Er war ein religiöser Führer, der innere Stimmen hörte und ab 1880 eigene Schriften zu verfassen begann. Günter Grönbold schreibt:
„1889 nimmt er aufgrund einer göttlichen Offenbarung Anhänger an. Als er 1891 erklärt, er sei der Messias und der Mahdi (der letzte, von den Moslems erwartete Prophet), und dann auch, er sei die Wiedererscheinung Mohammeds, erfährt er Ablehnung und Widerspruch von seiten des Islam. Später ernennt er sich noch zum zurückgekehrten Jesus und ab 1904 zur Inkarnation des hinduistischen Krishna.“ (S. 44)
Im Jahr 1899 veröffentlichte er ein Buch in der Urdu-Sprache, das später in der englischen Übersetzung den Titel Jesus in India trug. Darin verkündete er die ihm zuteil gewordene Offenbarung, Jesus habe die Kreuzigung dank eines Wunderöls überlebt (das er, Ghulam Ahmad, sogar zum Verkauf anbot!); Jesus sei in der Folge auf der Suche nach den verlorenen Stämmen Israels nach Kaschmir gekommen (wo er diese Stämme alle gefunden habe!); er sei 120 Jahre alt geworden und sei in der Khanyar-Straße von Srinagar begraben worden, wo man das Grab heute noch besuchen könne.

Dr. Grönbold analysiert kurz die gröbsten Fehlinformationen und Absurditäten in Ahmads Argumentation und kommt zum Schluß:
„Es müßte somit klar geworden sein, daß sich Leute wie Faber-Kaiser, Obermeier, Kersten, stern & Co nur zu Werbern der Ahmadiyya-Sekte machen, wenn sie die Jesus-in-Indien-Legende propagieren“ (S. 47).
Obwohl diese Stimmen durchaus ihre eigene Motivation haben, dürfte das Propagieren der genannten „Sekte“ nicht deren Hauptmotiv sein. Doch da die einen den anderen abschreiben, geht dabei die eigentliche Quelle unter, oder sie wird, wie in Hinsicht auf den umstrittenen Gruppenführer Ghulam Ahmad, einfach verschwiegen, und man bezeichnet lieber Prof. Hassnain als Entdecker des Jesus-Grabes, weil
„der wissenschaftsgläubige Westen ihre Märchen eher akzeptiert, wenn sie ein Professor erzählt hat, als wenn deutlich würde, daß sie aus der Offenbarungsküche eines selbsternannten Messias und Gründers einer islamischen Sekte kommen. Und deshalb verschweigt man die Wahrheit schamhaft und wohlweislich.“ (Grönbold, S. 44)
Die Geschiche des Srinagar-Grabes

Die von Ghulam Ahmad behauptete und von Hassnain, Kersten, Obermeier usw. wiederholte Theorie besagt, der Prophet Yuz Asaf, der in Srinagar an der Khanyar-Straße begraben sei, sei in Wirklichkeit und Wahrheit niemand anders als Jesus! „Yuz-Asaf und Yusu sind identisch mit dem Namen Jesus, es sind die hiesigen Schreibweisen“, erklärte Prof. Hassnain seinem Gast Erich von Däniken gegenüber, der dies wörtlich in seinem Buch Reise nach Kiribati (S. 220) wiedergibt.

Auch Holger Kersten berichtet: „Immer wieder belegen Details …, daß Yuz Asaf und Jesus identisch sind.“ (S. 177)

Ist der Fall wirklich so klar, wie von diesen Autoren behauptet wird? Befindet sich in Srinagar das Grab Jesu = Yuz Asaf? Diese Annahmen werden mittlerweile von einer nicht unbeträchtlichen Anzahl Zeitgenossen als bewiesene und (natürlich vom Vatikan) verheimlichte Tatsache anerkannt.

Um diese Frage fundiert zu beantworten und die erstaunlichen Hintergründe kennenzulernen, muß etwas weiter ausgeholt werden:

Gut zweihundert Jahre nach Jesu Kreuzigung hatten sich die messianisch-christlichen Urgemeinden bereits an vielen Orten im Nahen und Mittleren Osten, in Nordafrika und in (Süd)Europa verbreitet. Auch zeichneten sich bereits verschiedene nachhaltige Spaltungen und Gegenbewegungen ab. Eine Bewegung, die in dieser Zeit neu entstand, war die des Persers Mani (215 - 273). Er stammte aus einem persischen Königsgeschlecht, lebte für längere Zeit im damals buddhistischen Indien, trat nach seiner Rückkehr in seine Heimat als Stifter einer neuen Religion auf, die als „Manichäismus“ bekannt (und bekämpft) wurde, und starb, als Häretiker verurteilt, am Kreuz.

Hans Joachim Störig schreibt in seinem Standardwerk Kleine Weltgeschichte der Philosophie:
„Der Gnosis eng verwandt ist der Manichäismus, der … das Judentum schroff ablehnt und heidnische, nämlich persische und indische Ideen mit christlichen verbindet … Seine Lehre, soweit sie aus geringfügigen Bruchstücken seiner Schriften und aus späteren Berichten zu erkennen ist, geht aus von der persischen Religion entnommenen Vorstellung zweier von Ewigkeit her nebeneinander bestehender Reiche, eines Reichs des Lichts, beherrscht vom göttlichen Vater des Lichts, und eines Reichs der Finsternis, beherrscht vom Vater der Finsternis – von Mani mit dem jüdischen Jahwe identifiziert – und seinen Dämonen. Jesus erscheint bei ihm als der aus dem Reiche des Lichts herabsteigende Erlöser der Menschen.

Die Ethik des Manichäismus fordert strengste Askese und ähnelt der buddhistischen.“ (Fischer Taschenbuchausgabe Bd. 1, S. 224)
Buddha war fünfhundert Jahre vor Christus in Indien erschienen. Im Verlauf der nachfolgenden Jahrhunderte breitete sich die Religion des Buddha über ganz Indien aus, erreichte von dort aus auch die umliegenden Gebiete, und blieb für rund eintausend Jahre (bis zum Auftreten des indisch-vedischen Reformators Śrī Śaṅkara anfangs des 9. Jahrhunderts nach Christus) in Indien die vorherrschende Religion.

Mani lernte in Indien also den Buddhismus in seiner Blütezeit kennen und brachte viele der Lehren und Legenden zurück nach Persien. In diesem Umfeld des frühen Manichäismus erzählte man sich unter diesem buddhistischen Einfluß auch die Geschichte eines Heiligen, eines „Bodhisattva“: Ein Prinz wird von seinem Vater, dem König, gänzlich von der Außenwelt abgeschirmt, weil eine Prophezeiung ihm vorausgesagt hatte, sein Sohn werde nicht sein Nachfolger werden, sondern werde sich der Religion zuwenden und ein Asket werden. Trotz aller Vorkehrungen bekommt der Prinz als heranwachsender Jüngling einmal einen Kranken, einen Alten und einen Toten zu Gesicht. Aufgrund dieser erschütternden Erkenntnis bekehrt sich der Prinz und wird tatsächlich, wie prophezeit, ein Asket.

Heute erkennen wir in dieser Bodhisattva-Legende natürlich sogleich das grundlegende Muster der Lebensgeschichte des Gautama Buddha. Der Lehrer Mani wird in gewissen alten Texten selbst als Bodhisattva bezeichnet. Allerdings war die Sprache des Mani und des Manichäismus nicht Sanskrit, sondern Persisch, und in dieser Sprache heißt Bodhisattva Bôdisaf.

Diese manichäische Legende wurde später von anderen Strömungen übernommen, insbesondere vom Islam und vom Christentum. Im Arabischen hieß es dann natürlich, dies sei die Geschichte eines zum Islam bekehrten Prinzen namens Bûdhasaf, Yûdhasaf oder Yûzasaf. Im Christentum erscheint diese Geschichte bereits im siebten Jahrhundert als griechischer Roman, der dem Johannes Damascenus (ca. 675 – 749) zugeschrieben wurde. Die Geschichte stammt auch hier also erwiesenermaßen ebenfalls aus dem Nahen Osten (Damaskus) und erzählt die Geschichte des indischen Prinzen Josaphat, der vom königlichen Vater behütet wird, weil dieser eine Prophezeiung gehört hat, der dann aber nach dem Anblick eines kranken, eines alten und eines toten Menschen sich Gott zuwendet und zum Christentum findet. Dieser indische Josaphat wurde im Jahre 1583 von der römisch-katholischen Kirche heiliggesprochen, und der 27. November galt als der Tag des Hl. Josaphat. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die katholische Kirche die Liste ihrer Heiligen bereinigt und alle legendären Personen daraus entfernt. Unter den gestrichenen Namen befindet sich auch der Hl. Josaphat, von dem man heute weiß, daß es ihn in dieser Form gar nie gegeben hat.

Während die manichäische Prinzengeschichte im Christentum als Josaphat-Geschichte weiterlebte, wurde sie auch in islamischen Kreisen weitererzählt. Die Legende „Bilauhar wa-Budasaf“ läßt den bekehrten Prinzen als Heiligen in Kaschmir sterben. Als der Derwisch Syed Abdur Rahman (genannt Bulbul Shah) im 14. Jahrhundert den Islam nach Kaschmir brachte, wurde ein bis dahin hinduistisches Grab zu dem eines islamischen Propheten erklärt, und der Volksglaube identifizierte diesen Propheten dann bald einmal mit dem legendären Prinzen Budasaf. Sechshundert Jahre später verkündet Ghulam Ahmad, dieser Prinz sei identisch mit Jesus.

Seit diese Behauptung im Westen viele Gläubige findet und geldbesitzende Touristen in die Hauptstadt lockt, verkünden die Grabwächter natürlich ebenfalls, hier sei „Isa Sahib“ begraben. Diese Aussagen haben offensichtlich nicht die geringste Beweiskraft und haben nichts, wie oft behauptet, mit einer alten Überlieferung zu tun, denn sie sind erst in den letzten Jahrzehnten laut geworden, mit Herrn Hassnain als lautestem Verkünder.

Interessant ist, daß Notowitsch sich zweimal in Srinagar aufgehalten hat, einmal sechs Tage lang, aber er schreibt in seinem Jesus-Buch nichts von einem Jesus-Grab in Srinagar. Er war eben zu früh dort gewesen (1887). Ghulam Ahmad verkündete seine „Eingebung“ erst zehn Jahre später. Vor Ghulam Ahmad hatte offensichtlich noch nie jemand von der Idee gehört, Budasaf/Yuzasaf sei Jesus. Die angeblich alte verheimlichte Überlieferung ist also gerade mal einhundert Jahre alt.

Hinzu kommt, daß es eine völlig willkürliche Wortverfälschung ist, das persisch-arabisch-kaschmirische Wort Yuzasaf als Yuz Azaf zu trennen, nur um mit „Yuz“ eine Silbe freizulegen, die entfernt wie Jesus (eigentlich: Jeshua) klingt. Das wäre vergleichbar mit der Schreibweise „Johan Ness“ für Johannes (vielleicht als Parallele zu Loch Ness)!

Stimmt es also, was Holger Kersten gleich zu Beginn seines Buches Jesus lebte in Indien (S. 19) verkündet? „Erst heute kann man mit Sicherheit behaupten, daß es, vom modernen Standpunkt der Leben-Jesu-Forschung ausgehend, tatsächlich unmöglich ist, den Aufenthalt Jesu in Indien zu widerlegen.“

Der Name Yuzasaf

Wie der philologische Nachweis zeigt, ist Yuzasaf die durch Jahrhunderte hindurch veränderte und arabisierte Schreibweise von Bodhisattva, was auch Holger Kersten zugibt:
„… erkennt man im Wort Judasaf das ursprüngliche Budasaf, das nichts anderes bedeutet als ‚Bodhi sattva‘ … Durch sprachliche Herleitung (J[B]udasaf) ist es nun deutlich geworden, daß der islamische Prophet Yuz Asaf in Wirklichkeit ein buddhistischer Bodhisattva war, der im Zuge einer rigorosen Islamisierung großzügig mitvereinnahmt wurde.“ (S. 149)
Aber eben: Dieser buddhistische Bodhisattva war Jesus! Dies beweise nicht nur der auffällig ähnliche Name, sondern auch die alte Überlieferung – und die deutliche Abbildung von Nagelwundmalnarben auf der Fußdarstellung beim Grab!

Die genannte Fußdarstellung (Holger Kersten veröffentlicht ein Foto) erinnert aber sogleich an die typische indische Tradition, der gemäß bei Gräbern von Heiligen oft auch Fußdarstellungen mitangebracht werden. Diese sind jedoch in vielen Fällen nicht echte Fußabdrücke, sondern willkürlich geschaffene, oft sehr abstrakte oder sogar schon kindliche Fußreliefs. Wer noch nie in Indien war, kann sich dies nicht so leicht vorstellen. Wer aber schon mal in Indien war, erkennt in den Yuz-Asaf-Fußsohlen ebenjene indisch vereinfachte Darstellung.

Wenn man sich jedoch vor Augen führt, daß im Islam jegliche bildliche Darstellung strikt abgelehnt wird, bleiben zwei Erklärungen übrig: Entweder stammt die Darstellung der Fußsohlen noch aus der vorislamischen Zeit und wäre also schon über siebenhundert Jahre alt, oder sie ist viel jüngeren Datums …! Bezeichnenderweise erwähnt Ghulam Ahmad dieses eigentlich willkommene Indiz nicht. Das Verdienst, diese Fußdarstellung „freigelegt“ zu haben, kommt laut Holger Kersten Prof. Hassnain zu. Hätten rigorose Moslems bei der Vereinnahmung des Hindu-Grabes die pagane Idolatrie einer Hindufüßedarstellung während siebenhundert Jahren einfach übersehen, toleriert oder unzerstört stehen lassen?

Selbst wenn man die Theorie einer künstlich angebrachten Touristenattraktion à la India einmal wegläßt, ist die Narbeninterpretation sehr fragwürdig, denn was als Narbe interpretiert wird, ist jeweils eine halbmondförmig stilisierte Vertiefung zwischen den Zehen und den Fußballen. Die Narben von Nagelwunden wären rund oder eckig und würden sich nie so weit vorne befinden.

Noch einmal sei gezeigt, wie der Name „Yuz Asaf“ zustande kam:

Sanskrit: Bodhisattva
Persisch: Bôdhisaf
Arabisch: Bûdhâsaf/Bûdâsaf, dann:

Yâdhâsaf und Yûzâsaf (Dr. Grönbold: „Der entscheidende Wechsel Bûdâsaf > Yûdâsaf erfolgte also im Arabischen, bzw. genauer in der arabischen Schrift, in der J und B sich nur durch einen Punkt unterscheiden und deshalb leicht verschrieben werden konnte.“

Griechisch: Ioasaph
Lateinisch: Josaphat

Demgegenüber weist Dr. Grönbold nach, daß der Name Jesus nirgendwo als „Yuz“ geschrieben wird: Yeshua (aramäisch), Yehoshuah (hebräisch), Isâ (arabisch), Yasû (in christlich-arabischen Texten), Yisho (in manichäisch-iranischen Dialekten), Ye-zu, Yi-shu oder Ye-shu (tibetisch), Yesu (Urdu), usw.

„Übersetzungen“ aus alten Texten

Wenn die genannten Autoren also in demselben Stil altindische Texte, insbesondere das Bhaviṣya Purāṇa, anführen, muß man ebenfalls sehr vorsichtig sein. Erstens sind diese Zitate oft sehr willkürlich formuliert (von „übersetzt“ kann nicht mehr gesprochen werden), in Ahnlehnung an Louis Jacolliots Methoden, und zweitens sind auch die indischen Originale bei solchen Stellen nicht immer authentisch und zuverlässig. In einigen angeblich sehr alten Sanskrittexten wird z. B. gegen die Jainas polemisiert, eine Gruppe, die es höchstens seit etwas mehr als zweitausend Jahren gibt, und im Bhaviṣya Purāṇa wird – direkt im Anschluß an die Stelle, die angeblich Jesus in Indien beschreiben soll – auch Mohammed erwähnt, und zwar als mahāmada, der „große Verrückte“, der mit König Bhoja (ca. 1000 – 1055 n. Chr.) Śiva verehrt habe; diesem König von Bhoja, der in keiner Weise ein Zeitgenosse Mohammeds (571 – 632) gewesen sein kann, sagt derselbige, er werde „auf Befehl des Isha“ die Religion der Dämonen einführen. (Das gleiche Wort wird nur einige Verse zuvor von gewissen Autoren als „Jesus“ übersetzt.)

Dr. Grönbold führt unterschiedlichste Beispiele für falsche und fehlinformierte Argumente an. So erkennt Holger Kersten z. B. im Besuch der drei Könige aus dem Morgenland eine deutliche Parallele zur tibetischen Suche des neuen Dalai Lama. Jesus war ja ein Bodhisattva! „Aber abgesehen davon, daß sich hier sachlich völlig verschiedene Vorgänge abgespielt haben, fällt die ganze Hypothese aus einem sehr simplen Grund in sich zusammen: In Tibet wurde diese spezielle Inkarnationsnachfolge erst im 15. Jh. n. Chr. eingeführt.“ Deshalb haben wir heute auch erst den 14. Dalai Lama!

„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, ist man geneigt zu sagen. Wenn man etwas beweisen will, kann man Informationen immer so drehen und darstellen, daß sie dem eigenen vorgefaßten Willen entsprechen. Wenn man sie unverfroren genug mit Selbstverständlichkeit und Überzeugung vorträgt, stößt man bei Leichtgläubigen und Uninformierten schnell auf Glauben, der Mensch glaubt vor allem das, was er glauben will.

Jesus in Indien oder in Frankreich?

Die Behauptung, Jesus habe die Kreuzigung überlebt und sei danach nach Indien/Kaschmir gegangen, hat heute eine Kritik aus ganz unverhoffter Seite bekommen. Neue Autoren, die gewissen westlichen Logenverbänden nahestehen, haben in mehreren Bestsellern nun die Behauptung aufgestellt, Jesus habe die Kreuzigung tatsächlich überlebt, sei danach aber nicht etwa nach Indien, sondern nach Frankreich gegangen. Dort habe er mit Maria Magdalena leibliche Nachkommen gehabt, deren verstecktes Königsgeschlecht sich bis in die heutige Zeit fortgepflanzt habe und demnächst einen großen Schritt auf die Weltbühne plane. Einige Autoren wollen sogar wissen, das große Geheimnis in den Pyrenäen, das „Rätsel von Rennes-le-Château“, sei nichts anderes als das Grab Jesu – in Südwestfrankreich!

Was von diesen Darstellungen zu halten ist, worin der historische Hintergrund besteht, wer hinter diesen Veröffentlichungen steht und worauf dies hinauslaufen könnte, habe ich bereits ausführlich im Buch Machtwechsel auf der Erde zusammengefaßt und analysiert.

Hier soll nur noch einmal in Erinnerung gerufen werden, wie fragwürdig es grundsätzlich ist, daß jemand eine Kreuzigung überlebt, vor allem wenn er vorher auch noch blutig gegeißelt wurde. Der moderne Mensch kann sich anscheinend kaum mehr vorstellen, was das bedeutet. Und die Geißelung war nur eine von vielen Torturen. Die schlimmste war unbestreitbar diejenige, in der Nägel durch die Füße und Handgelenke geschlagen wurden. Diese Verletzungen und der damit verbundene Blutverlust sind tödlich, auch wenn die Nägel steril, nicht rostig und desinfiziert gewesen wären. Hinzu kommt noch der Lanzenstich in die Brust, ebenfalls nicht mit einer desinfizierten Klinge. Selbst wenn Jesus zum Zeitpunkt der Abnahme vom Kreuz „nur“ in einem Koma gewesen wäre, wäre er verblutet, da ja die Nägel aus den Wunden gezogen wurden, oder wäre an Blutvergiftung und Wundfieber gestorben. Hier einfach zu sagen, Wunderöle (wie Ghulam Ahmad) oder vergessene Wunderheilkünste der Essener seien zur Anwendung gekommen, oder der Essig im Schwamm sei „in Wirklichkeit“ (laut Kersten) ein essenischer Heil- und Betäubungstrank gewesen, vermag – gelinde gesagt – nicht zu überzeugen.

An dieser Stelle wird auch das Turiner Grabtuch in die Diskussion gebracht. Verschiedene Indizien (Körperhaltung, Blutspuren usw.) würden darauf hinweisen, daß der Mann, der in dieses Tuch gelegt war, noch gelebt habe. Neben allen fachwissenschaftlichen Gesichtspunkten sei nur die eine Frage angeführt: Wie kann ein blutverschmiertes Gesicht eine dreidimensionale Negativabbildung hervorrufen? (Betupfen Sie ihr Gesicht mit Farbe, mit oder ohne Schweiß und Aloewunderöl, und legen Sie dann ein Tuch auf Ihr Gesicht. Auch ohne Experiment ist klar, was dabei herauskommt: ein unförmiger schattenhafter Farbklecks, in keiner Weise vergleichbar mit dem Portrait auf dem Turiner Grabtuch.)

Und selbst wenn dieses Ganzkörperbild durch Blutabdruck irgendwie zustande gekommen wäre – wie ist es möglich, daß ein blutbeflecktes Tuch 2000 Jahre lang ohne Schimmel- und Fäulnisansätze überdauert?

Solange nicht geklärt ist, wie das Bild wirklich auf das Leinen kam, ist es auch müßig, ja sogar schon irreführend, anhand dieses Tuches kriminologische Theorien über den körperlichen Zustand des abgebildeten Mannes an den Haaren herbeizuziehen.

Das Turiner Grabtuch (Interview)

Im Licht der nachfolgenden Ausführungen kann man selbst versuchen, einige brisante Rückschlüsse auf die Hintergründe der Jesus-in-Frankreich oder -Indien-Theorien zu ziehen. Wer das Buch Machtwechsel auf der Erde gelesen hat, erkennt die Querverbindungen bestimmt sehr leicht.

(Aus der Zeitschrift Die Furche, Juli 1995:)
Zweifelsfrei aus der Zeit Christi

1988 meldeten die Medien, mit einem „sicheren“ Meßverfahren, die C‍-‍14-Methode, sei nachgewiesen worden, daß das Turiner Grabtuch aus dem Mittelalter stamme. Neuere Untersuchungen widerlegen aber diese Behauptung. Die revidierten Ergebnisse der C‍-‍14-Methode verlegen die Herkunft des Tuches in die Zeit Christi. Dank der neusten Ergebnisse der Grabtuchforschung eröffnen sich auch verblüffende Perspektiven für die Physik. Dies betont der Diplomingenieur Joachim Andrew Sacco aus Beverly Hills, der gegenwärtig [1995] einen Dokumentarfilm über den neusten Stand der Grabtuchforschung dreht. (Das Gespräch führte Christof Gaspari.)

Warum war die Datierung deutlich zu korrigieren?

Joachim Andrew Sacco: Die Änderung ist darauf zurückzuführen, daß das Grabtuch 1532 in einen Brand mit Temperaturen von rund 850 Grad geraten ist. Der Silberbehälter des Tuchs begann zu schmelzen. Man untersuchte die Wirkung eines solchen Feuers auf ein Tuch aus dem Jahr 200. Dabei lieferte die C-14-Methode ein Ergebnis, das um 1400 Jahre verschoben war. Die Laboratorien, die 1988 die C-14-Datierung vorgenommen hatten, kamen nun selbst zu dem Schluß, das Grabtuch müsse zumindest 1900 Jahre alt sein. Das steht seit 1993 fest.

Wurden diese Ergebnisse veröffentlicht?

Ja, in wissenschaftlichen Publikationen. Die Medien aber haben sich dafür nicht interessiert.

Gibt es weitere neue Erkenntnisse über das Turiner Grabtuch?

Ja, über die Art, wie das Bild entstanden ist, und über das Schicksal des Körpers im Tuch. Man kann heute klar feststellen, daß sich hier ein einmaliger Vorgang ereignet hat. Computersimulationen haben hierbei eine bedeutende Rolle gespielt.

Was wurde untersucht?

Im wesentlichen sind zwei Dinge zu nennen: das Bild, das auf dem Tuch eingebrannt ist, und die Blutspuren. Die Blutuntersuchungen kamen zu dem Schluß, daß es sich um menschliches Blut handelt, höchstwahrscheinlich Blutgruppe AB. Man fand eine XY-Chromosomen-Konfiguration, was auf eine männliche Person schließen läßt. Aber noch entscheidender ist, was das Bild aussagt.

Was zeigte sich da?

Zunächst: Ein Mensch kann so ein Bild nicht erzeugen. Unmöglich.

Können Sie das erklären?

Man hat gemeint, es handle sich um Malerei. Aber: Man findet keine Farbe, kein Pigment. Nächste Vermutung: Irgendeine Säure sei im Spiel. In diesem Fall hätte man sehr präzise arbeiten müssen, ohne aber das Bild sehen zu können. Manches sieht man auf dem Tuch nur mit ultraviolettem Licht. Außerdem ist das Bild dreidimensional kodiert. Nicht einmal mit Methoden der Photographie läßt sich das reproduzieren. Man hat sogar verschiedene Künstler ersucht, Bilder zu malen, die dieselbe Information wie das Grabtuch enthalten. Unmöglich. Außerdem gibt es Staub und Schmutz an den Fersen, die man nur mit dem Mikroskop sieht, und deren Untersuchung ergab, daß sie aus Jerusalem stammen [d. h. sie enthalten Pollenarten, die z. T. nur in dieser Gegend vorkommen].

Also kein Bild aus dem Mittelalter?

Man hätte damals schon wissen müssen, wie man ein Photonegativ erzeugt. Außerdem findet man im Mittelalter auf allen Darstellungen der Kreuzigung, daß die Nägel durch die Hände gehen. Auf dem Grabtuch aber gehen sie durch die Handgelenke. Des weiteren finden wir auf dem Tuch die Wunde auf der rechten Seite. Und da kommt eine Menge Blut heraus. Das ist wichtig. Denn auf der linken Seite des Herzens ist bei einem Toten kein Blut. Es konzentriert sich auf der rechten Seite. Aber die Blutspuren stimmen genau mit der Anatomie des Menschen überein. Das hätte man aber nicht einmal vor einhundert Jahren durchschaut! Heute verfügt man über eine Erklärung, die alle offenen Fragen zu beantworten gestattet.

Wie war das möglich?

Die Wissenschafter konnten im Test durch Computersimulation nachweisen, daß der Körper im Grabtuch einen Vorgang durchgemacht hat, der ihn in einen neuen Raum versetzt hat. Die Struktur seiner Atome hat sich neugeordnet. Dieser Körper trat in eine „Super-Ordnung“ über. Dabei wurde viel Energie abgestrahlt, die das Bild auf dem Tuch erzeugt hat. Wir werden das alles detailliert im Film The Shroud genau darstellen.

Was Sie sagen, klingt ziemlich phantastisch. Können Sie das näher ausführen?

Diese Schlußfolgerungen basieren auf Schlüsselbeobachtungen. Ich erwähne einige von ihnen: Es haben sich nur die Vorder- und die Rückseite des Körpers abgebildet. Die Seitenansicht fehlt. Sollte aber eine Kraft vom Körper ausgegangen sein, müßte sie überhallhin strahlen. So war klar: Die Schwerkraft mußte eine Rolle gespielt haben. Ein anderer Schlüssel war die Lage der Blutspuren im Vergleich zu den Wunden auf dem Bild. Je näher sie zum Zentrum des Bildes sind, um so näher sind sie auch zu den Wunden, und umgekehrt. Und noch etwas: Das Bild ist nur ganz schwach eingeprägt, nur auf den ganz obersten Fasern gibt es Veränderungen. Sie reichen nie tiefer als einige Mikron. Dank neuester Einsichten der Quantenmechanik konnte man eine Modellvorstellung über das Geschehen entwickeln, die mit allen erwähnten Beobachtungen in Einklang gebracht werden kann.

Und wie läßt sich diese kennzeichnen?

Gemäß dieser Theorie hätte sich im Körper eine extrem unwahrscheinliche, aber aufgrund der physikalischen Gesetze denkbare Konfiguration der subatomaren Teilchen vollzogen, wodurch sich all diese Beobachtungen erklären lassen.

Eine Neuordnung der subatomaren Teilchen im Körper?

Ja. Sobald dieser Vorgang einsetzt (wir wissen aber nicht, warum dies geschieht), wäre er nicht aufzuhalten. Er würde zum Übergang in eine „Super-Ordnung“ führen. Bei diesem Vorgang wird eine Energie von mehreren Hundert Joule pro Quadratzentimeter abgestrahlt.

Ist diese Neuordnung nicht ein sehr gewagtes Denkmodell?

Alle bisherigen Paradoxa können dadurch jetzt erklärt werden: Die Neuordnung der Partikel führte dazu, daß das Tuch richtiggehend durch den Energie abstrahlenden Körper gefallen ist.

Durch den Körper?

Ja. Das stimmt mit den Gesetzen der Physik überein und hat zur Folge, daß jene Partien des Tuches, die mit dem Körper in Berührung waren, mehr Strahlung abbekamen als andere. Außerdem erklärt es auch, warum das Bild der Vorderseite deutlicher ist als das der Rückseite. Auch der Umstand, daß wir nichts von den Seitenpartien des Körpers sehen, wird ebenso verständlich wie die perfekte dreidimensionale Abbildung.

Und dabei entstand eine „Super-Ordnung“?

Ja. Im bisher meßbaren Universum wissen wir, daß alles zum Chaos tendiert. So besagt es das zweite Gesetz der Thermodynamik. Im Zustand der „Super-Ordnung“ gibt es diese Neigung zur Unordnung nicht. Das Grabtuch trägt somit Merkmale, die auf einen Zustand jenseits von Zeit und Raum schließen lassen.

Wie stehen Sie persönlich zu diesen Ergebnissen?

Den Wissenschaftlern, mit denen ich zu tun habe (rund vierzig Forscher, die sich seit 1978 mit diesem Themenkreis befassen – Ärzte, Hämatologen, Physiker, Ingenieure aus verschiedenen Sparten, Archäologen, Historiker usw.) und die sich mit dem Fragenkomplex beschäftigen, ist es wie mir ergangen: Sie gelangten zu der Überzeugung, daß die Auferstehung tatsächlich stattgefunden hat. Wir haben einfach die Evidenz dafür vor uns. Da sprechen die Tatsachen.

Sind die Forscher, die am Grabtuch arbeiten, gläubig?

Einer von ihnen hat mir erzählt, daß es ihm wie vielen seiner Kollegen gegangen ist: Zu Beginn ihrer Tätigkeit meinten sie, rasch nachweisen zu können, daß es sich um einen Schwindel handle. Kaum aber hatten sie sich näher mit der Thematik befaßt, mußten sie ihre Meinung ändern. Viele dieser Forscher haben im Zuge ihrer Arbeit tiefe Bekehrungen erlebt.
Zusatzinformation

Der Schweizer Kriminologe Prof. Max Frei untersuchte im Jahr 1973 Staub aus den Fasern des Turiner Grabtuches. Er entdeckte darin 49 verschiedene Pollenarten, d. h. Blütenstaub, darunter 13 Pollenarten von Pflanzen, die ausschließlich in Palästina vorkommen. Einige Pollen konnte er nicht identifizieren. Er fand dann im Schlamm des Toten Meeres diese Pollen, und zwar gehören sie Pflanzenarten, die heute verschwunden sind, aber vor zweitausend Jahren in Palästina existierten.

Ein weiterer Hinweis auf das Alter und die Echtheit des Grabtuches ergab eine neue Entdeckung: Da das Bild eine dreidimensionale Struktur aufweist, ließ sich mit Computertechnik eine Reliefvergrößerung des Antlitzes anfertigen, und dabei entdeckte man auf den Augen zwei erhöhte Kreise, die inzwischen als Geldstücke aus der Zeit von Pontius Pilatus identifiziert werden konnten! Auf einer der beiden Münzen ließen sich sogar die Reste der Inschrift erkennen, nämlich die Buchstaben UCAI. Tatsächlich trug die Pilatus-Münze die griechische Aufschrift TIBERIOU KAISAROS. Nur einmal, im Jahre 29, hat der Münzenhersteller einen Prägefehler gemacht und schrieb TIBERIOU CAISAROS, in Anlehnung an das lateinische „Caesar“. Heute sind nur noch drei Exemplare dieser Fehlprägung vorhanden, doch gerade diese damals neu geprägte Münze wurde auf die Augenlieder des Eingehüllten gelegt, wie dies damals der Brauch war (aus: „Das Turiner Grabtuch – Neue Beweise für die Echtheit, Magazin 2000, Nr. 128/129, Juni/Juli 1998).

Dieses neu entdeckte Detail widerlegt einmal mehr die Behauptung, das Bild sei durch Schweiß und Ausdünstungen des noch lebenden Körpers in chemischer Wirkung mit Heilölen auf das Leinen gekommen; unbelebte Gegenstände wie Münzen wären dadurch nicht abgebildet worden, zumindest nicht mit Details der Prägung!

Die Entdeckung der Dreidimensionalität des Bildes geht auf die Arbeit der amerikanischen Physiker J. Jackson und E. Jumper zurück, die zur wissenschaftlichen Forschungsgruppe The Shroud of Turin Research Project (STURP) gehörten und 1973 mit ihren bahnbrechenden Untersuchungsergebnissen an die Öffentlichkeit traten. Sie wiesen nach, daß das Bild auf dem Grabtuch nicht bloß aus biochemischen Abdrücken besteht, sondern daß es durch Strahlung, d. h. durch einen Lichtblitz entstanden ist, der dreidimensional aus dem Körper des Gekreuzigten hervorgekommen sein muß. Berechnungen ergaben, daß dies ein Strahlenblitz von nur etwa 2/1000-Sekunden gewesen war. Ein Diapositiv vom Grabtuch wurde in einen Bildanalystor VP8 gesteckt, und auf dem Bildschirm erschien ein dreidimensionales Reliefbild des Gesichts.

Einen noch weiterführenden Erklärungsansatz liefert der im Interview zitierte Joachim Andrew Sacco. Ein Lichtblitz allein hätte auch die Seiten des Körpers abbilden müssen, und der Körper hätte zwar geblitzt, aber wäre immer noch im Tuch gelegen. Saccos Erklärung wäre in der Lage, auch diese letzten Rätsel zu lösen. Damit führt die Forschung der Physik jedoch direkt in den Bereich der Metaphysik.

Ist es also verwunderlich, daß das Grabtuch für viele Menschen als Beweis für die physische Auferstehung Jesu bezeichnet wird? Entstand das mysteriöse dreidimensionale Photobild im Stoff dadurch, daß Jesu Körper bei seiner Auferstehung am frühen Ostermorgen „verklärt“ und „verherrlicht“ wurde, wodurch das Grabtuch durch seinen Körper hindurchfiel oder, genauer gesagt, sein Körper durch das Tuch hindurchging? Wer waren dann die zwei leuchtend weißen Gestalten, die am Ostermorgen im oder beim Grab gesehen wurden, und was war ihre Funktion gewesen?

Man erinnere sich, daß am 12. April 1997 ein (weiterer?) Brandanschlag auf dieses Tuch verübt wurde, der ohne Wunder auch zum satanischen Ziel geführt hätte: das Grabtuch ein für allemal zu vernichten. An vier Stellen brach das Feuer in der Turiner Kirche aus, und erst nach einer halben Stunde, als die Kirche schon lichterloh brannte, kam die Feuerwehr. Es ist allein der inneren Stimme eines einfachen Feuerwehrmannes zu verdanken, daß dieser mitten durch die Flammen ging und den Behälter mit dem Tuch bergen und herausholen konnte. In der Folge erschien in Italien sogar ein Buch des Turiner Sachbuchautors Renzo Baschera mit dem Titel Le srofezie della santa Sindone – L’ultimo incendio annuncia l’Anticristo? („Die Prophezeiungen des heiligen Grabtuchs – Ist der letzte Brand eine Ankündigung des Antichrist?“)

In diesem Buch untersucht der Autor die überlieferten Berichte, die besagen, im 16. oder 17. Jahrhundert hätten mehrere Pilger bei Gebeten vor dem Grabtuch innere Stimmen gehört. Heute noch rätselhaft sind die prophetischen Verse eines französischen Pilgers namens Gerard oder Gerald, die dieser um 1575 vor dem Grabtuch niedergeschrieben haben soll. In diesen Nostradamus-ähnlichen Versen wird das zukünftige Schicksal der Menschheit mit Stichwörtern skizziert. In ihnen findet sich auch ein Hinweis auf einen großen Brand in einer Zeit, in der die Päpste zwei Namen haben werden, was damals noch unvorstellbar war; in dieser Zeit werde es zur entscheidenden Auseinandersetzung zwischen den satanischen und göttlichen Kräften kommen, auf der ganzen Welt, vor allem aber auch in Rom.

Neues Buch von Armin Risi