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Armin Risi
Philosoph • Autor • Referent
Radikal umdenken – neue Wege und Weltbilder

Jack London: Die Eiserne Ferse

Eine Analyse von Armin Risi

Die Geheimgesellschaften, ursprünglich der schweigenden Nichteinmischung verpflichtet, pflegen nunmehr die verschwiegene Einmischung, und das schon seit geraumer Zeit. Ihre hohen Ideale wurden von innen her ausgehöhlt und dienen in vielen Fällen nur noch als Fassade. Heute sind ihre Vertreter vielschichtig in das Karma der Welt verstrickt, denn die Verführung ist groß, Geheimwissen und Disziplin zu mißbrauchen, um andere Menschen zu manipulieren – durch Wissensvorsprung, Macht und Geld. Wie bei den Religionen schlichen sich auch bei den Logenverbänden Stolz und Selbstherrlichkeit ein. Die hochgradigsten Machthaber glauben mittlerweile sogar, sie seien berufen, die Menschheit zu beherrschen, und dieser Zweck heilige ihre Mittel.

Beispiele hierfür gibt es zahllose. Doch nur wenige Kritiker erkennen, daß der tiefe Materialismus, in den die Menschheit geraten ist, gleichzeitig auch Auftakt ist zu einer tiefgreifenden Wende. Eines der ersten Werke der modernen Weltliteratur, in dem diese Perspektive aufgegriffen wurde, stammt vom amerikanischen Schriftsteller Jack London (1876–1916) – ein Buch, das lebensnah die Erniedrigung des Menschen und die Arroganz der Mächtigen schildert. Dieses Buch veröffentlichte er 1907, als er den Höhepunkt seines Ruhmes erreicht hatte; er galt bereits während seines Lebens als einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Schriftsteller Amerikas. Nach seinen Abenteuer- und Naturgeschichten, die sogleich begeisterte Aufnahme gefunden hatten, wandte er sich sozialkritischen Themen zu: The People of the Abyss (dt. Menschen der Tiefe, 1903; über die Londoner Slums) und dann 1907 The Iron Heel, dt. Die eiserne Ferse.

Damals wurde der Menschheit, von Amerika ausgehend, das Joch der Industrialisierung, Globalisierung und Ausbeutung aufgezwungen, und der junge Jack London versuchte – als sensibler, engagierter Idealist –, der stummen Masse eine Stimme zu verleihen, um sich gegen das Unvermeidliche aufzubäumen. Dies tat er am schärfsten im Buch Die eiserne Ferse, ein Roman und Zeitdokument, in dem er beschreibt, wie die Mächtigen ihre Industriegesellschaft durchsetzen und mit hinterhältigen Mitteln ihre Interessen verfolgen, Konflikte inszenieren und Revolutionäre ausschalten. Jack London nennt sie Oligarchen#fn:1, Plutokraten#fn:2 und bildlich „die eiserne Ferse“, weil diese Machtelite alles unter ihrem Absatz gnadenlos zertritt. Dabei scheut er sich nicht, einige ihrer bekanntesten Vertreter mehrmals namentlich zu erwähnen: die Wallstreet-Milliardäre, insbesondere die Familien Morgan und Rockefeller.

Im Roman Die eiserne Ferse bringt Jack London auch seine sozialistischen Überzeugungen zum Ausdruck, aber es ist kein sozialistisches oder kommunistisches Manifest, sondern eine Art Utopie, denn die ganze Geschichte wird aus der fernen Zukunft zurückblickend aufgerollt. Jack London konstruiert die Geschichte als Manuskript, das die Frau des Revolutionärs Ernest Everhard verfaßte, kurz nachdem dieser im Jahr 1932 von den Schergen der „eisernen Ferse“ heimlich hingerichtet worden war. Dieses fiktive Manuskript, mit dem Jack London die damals nahe Zukunft#fn:3 beschreibt und das Aufkommen des Faschismus sogar mit dem richtigen Datum voraussah, wird erst siebenhundert Jahre später aufgefunden. Aus dieser Perspektive, „durch die Jahrhunderte zurückblickend“, schildert Jack London die blutige Niederschlagung der sich wehrenden Arbeiter und deutet an, wie die angestrebte Gesellschaft der gleichen Rechte, die Brotherhood of Man („Bruderschaft des Menschen“), in ferner Zukunft aussehen wird.

Vorläufig herrscht aber noch die Bruderschaft der Mächtigen. Dies mußte auch die Frau von Ernest Everhard erfahren. Sie war die Tochter eines reichen Industriellen, verließ aber die gehobene Schicht, als sie den proletarischen Revolutionär heiratete. Auf diese Weise bekam sie die wahren sozialen Mißstände zu Gesicht, von denen sie vorher keine Ahnung gehabt hatte: Hungerlöhne, Kinderarbeit, Slums, ausgebeutete Fabriksklaven, korrupte Industrielle, gekaufte Justizleute, hörige Politiker, skrupellose Machthaber.

Der Glaube der Mächtigen, berufen zu sein

Was sich durch philosophische Herleitung über die Gesinnung der Illuminaten sagen läßt, wird in den folgenden Zitaten anhand praktischer Erfahrungen illustriert. Erstaunlich ist, daß dies bereits in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts geschrieben wurde:
„Ich entdeckte, daß sie eine Moral hatten, die über jene der übrigen Gesellschaft erhaben war. Ich möchte sie die aristokratische Moral oder die Herrenmoral nennen. … Niemand in der Industriemaschinerie ist sein eigener freier Herr, außer dem Großkapitalisten. Die Herrschenden sind völlig überzeugt, daß sie mit dem, was sie tun, recht haben. … Sie sehen für sich sogar die Möglichkeit, Unrecht zu tun, um vielleicht Recht daraus entstehen zu lassen. Eine der angenehmen und unumstößlichen Fiktionen, die sie in die Welt gesetzt haben, ist die, daß sie der übrigen Menschheit an Klugheit und Tüchtigkeit überlegen sind. Daraus beziehen sie die Sanktion, über das tägliche Brot der übrigen Menschheit zu schalten und zu walten. Sie haben sogar die Theorie vom Gottesgnadentum der Könige wieder aufleben lassen – der Geschäftskönige in ihrem Fall.“ (S. 41f.)
„Sie hielten sich für Dompteure wilder Tiere, für die Herrscher über unvernünftiges Vieh. … Sie waren die Retter der Menschheit, und sie hielten sich für heldenhafte und aufopfernde Diener der höchsten Güter.“ (S. 171)
In einer direkten Begegnung mit Vertretern der „Eisernen Ferse“ stellt der Revolutionär sie entlarvend zur Rede und prophezeit deren Sturz durch den Aufstand der „Lohnsklaven“. Doch er bekommt eine kaltblütige Antwort:
„Wir sind an der Macht. Keiner wird das leugnen. Und dank dieser Macht werden wir an der Macht bleiben. … Wir werden euch Revolutionäre unter unserer Ferse zermalmen, und wir werden über eure Gesichter schreiten. Die Welt gehört uns, wir sind die Herren, und unser wird sie bleiben. Was das Arbeitsheer betrifft, so hat es seit Beginn der Geschichte im Staub gelegen, und ich habe die Geschichte richtig gelesen. Und im Staub wird es so lange bleiben, wie ich und meinesgleichen und jene, die nach uns kommen, die Macht haben. Das ist das Wort. Es ist das königliche Wort – Macht. Nicht Gott, nicht Mammon, sondern Macht.“ (S. 59)
Diejenigen, die ihnen gefährlich werden könnten, machen sie unschädlich, und den gemeinen Menschen machen sie – gemäß ihrer Ideologie – zum Tier:
„Mein Vater war ein guter Mensch. Seine Seele war gut und doch von der Grausamkeit seines Lebens verbogen, verkrüppelt und abgestumpft. Er war von seinen Herren, den Erzbestien, zu einem Tier erniedrigt worden.“ (S. 66)
„[Auf diese Weise] sank die große hilflose Masse der Bevölkerung, das Volk des Abgrunds, in ein tierisch apathisches Sichfügen in das Elend.“(S. 173)
Die Frau des Revolutionärs versucht, aus ihrer Position heraus Einfluß zu nehmen. Doch sie und alle anderen, die das schmutzige Spiel durchschauen, bekommen die eiserne Ferse zu spüren. Ihre Artikel werden nicht veröffentlicht. Bücher werden verboten. Razzien in „staatsfeindlichen“ Zeitungsverlagen, die später von Geheimdiensttruppen in Brand gesteckt werden. Kriminalisierung der Unterdrückten, die sich wehren wollen, vor allem durch verfälschende Darstellung in den Zeitungen. Unterwanderung der Opposition mit Spitzeln und Anstiftern zur Gewalt (Agents provocateurs), damit es einen Vorwand gibt, Polizei und Militär auf die Nichtgefügigen zu hetzen.
„Es ist das Gehirn der Plutokratie, das die Regierung lenkt, und dieses Gehirn besteht aus sieben kleinen und mächtigen Gruppen von Männern. Und vergessen Sie nicht, daß diese Gruppen heute praktisch im Einklang arbeiten. … Die Plutokratie hat heute alle Macht in ihren Händen. Sie erläßt heute die Gesetze, denn ihr gehören der Senat, der Kongreß, die Gerichte und die Landtage der Bundesstaaten. Und nicht nur das. Hinter dem Gesetz muß die Gewalt stehen, es zu handhaben. Heutzutage erläßt die Plutokratie das Gesetz, und um das Gesetz durchzuführen, stehen ihr die Polizei, das Heer, die Marine und schließlich die Miliz zur Verfügung.“ (S. 94f.)
„Und durch all das erhob sich mit erschreckender Gelassenheit und Sicherheit immer höher die Gestalt jenes Ungeheuers aller Zeiten, die Oligarchie. Mit eiserner Hand und eiserner Ferse überwältigte sie die wogenden Millionen, schuf Ordnung aus Unordnung und aus dem Chaos ihr eigenes Fundament und Gefüge.“ (S. 137)
Die mächtigen Wenigen jedoch werden ihre Macht verlieren, denn die Zeit wird große Veränderungen mit sich bringen. Jack London verwendet bereits 1907 sogar den ominösen Begriff new age:
„… die Augen hin zur Sonne von morgen erhoben, die das neue Zeitalter ankündigt“ (… with eyes lifted to tommorow’s sun that heralds in the new age).
  1. Oligarchie: (grch. olígos, „wenige“, und árchein, „herrschen“) „Herrschaft der wenigen“, Gesellschaftsform, in der die Macht bei einer kleinen Elite liegt.
  2. Plutokratie: (grch. ploũtos, „Reichtum“ und krateía, „Macht haben“) „Geldherrschaft“, Gesellschaftsform, in der die Macht bei den Reichsten liegt.
  3. Jack London, der sich 1896 mit revolutionären Idealen der sozialistischen Arbeiterpartei angeschlossen und für Jahre zu ihren aktivsten Mitgliedern gehört hatte, erwartete anscheinend tatsächlich für diese nahe Zukunft einen entscheidenden Umsturz. Die ausbleibende Revolution und auch persönliche Probleme lösten bei ihm Depressionen aus, und er verfiel dem Alkohol. Während der Zeit des Ersten Weltkrieges beging er Selbstmord.

Neues Buch von Armin Risi