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Armin Risi
Philosoph • Autor • Referent
Radikal umdenken – neue Wege und Weltbilder

Nietzsche über Hölderlins Dichtung

von Armin Risi

Diejenigen, die sich für spirituelle Themen interessieren und selbst schon persönliche innere Einweihungen erleben konnten, haben manchmal den Eindruck, daß sie sehr alleine seien, vor allem dann, wenn sie sich anderen mitteilen möchten.

Dennoch dürfen wir sagen: Gott sei Dank sind wir mit diesen Erkenntnissen und Einsichten nicht die einzigen auf der Welt! Und wie Hölderlin, Nietzsche und andere zeigen, sind wir auch nicht die ersten.

Nietzsche (geb. 1844) war bereits in seiner Jugend sehr von Hölderlin (gestorben 1843) begeistert und konnte sich wie kaum einer seiner Zeitgenossen in ihn hineinfühlen und ihn verstehen. So heißt es z. B. in der rororo-Biographie (S. 18 und 20): „Jean Paul war ihm vertraut, größte Liebe und Verehrung hegte er aber für den in seiner Zeit nahezu unbekannten Hölderlin.“

Hölderlin war nach seinem Tod für Jahrzehnte praktisch total vergessen. Ja schon während seiner Lebenszeit war er nur noch wenigen bekannt gewesen, hatte er doch seine ganze zweite Lebenshälfte (36 Jahre lang) in seinem Turmzimmer in Tübingen gelebt, einsam und verrückt, wie ihn die meisten Biographen heute zeichnen. Erst anfangs des 20. Jahrhunderts wurde die Dichtung Friedrich Hölderlins wieder entdeckt und „ausgegraben“ und zögernd auch von den Germanisten anerkannt.

Um so erstaunlicher ist es, daß Friedrich Nietzsche im Jahr 1861 Hölderlin wählte, als er am Gymnasium einen Schulaufsatz schreiben mußte, in dem es darum ging, einem Freund in einem Brief seinen Lieblingsdichter vorzustellen. Der 17-jährige Nietzsche tat dies auf eine sehr originelle Weise, nämlich indem er seinen Lieblingsdichter, Friedrich Hölderlin, gegen die Anschuldigungen von seiten des fiktiven Brieffreundes verteidigte, und eben: das zu einer Zeit, als kaum jemand mehr Hölderlin kannte, wahrscheinlich nicht einmal mehr Nietzsches Deutschlehrer. Hören wir, was ein Teenager damals im Schulaufsatz schrieb:
„Brief an meinen Freund,
in dem ich ihm meinen Lieblingsdichter zum Lesen empfehle

19.10.1861

Lieber Freund!

Einige Äußerungen aus deinem letzten Brief über Hölderlin haben mich sehr überrascht, und ich fühle mich bewogen, für diesen meinen Lieblingsdichter gegen dich in die Schranken zu treten. Ich will dir deine harten, ja ungerechten Worte noch einmal vor Augen führen; vielleicht, daß du schon jetzt eine andere Meinung hegst: ‚Wie Hölderlin dein Lieblingsdichter sein kann, ist mir völlig unerklärlich. Auf mich wenigstens haben diese verschwommenen, halb-wahnsinnigen Laute eines zerrissenen, gebrochenen Gemütes nur einen traurigen, mitunter abstoßenden Eindruck gemacht. Unklares Gerede, mitunter Tollhäusler Gedanken, heftige Ausbrüche gegen Deutschland, Vergötterung der Heidenwelt, bald Naturalismus, bald Pantheismus, bald Polytheismus, wirr durcheinander – dies alles ist seinen Gedichten aufgeprägt, allerdings in wohlgelungenen, griechischen Metren.‘

In wohlgelungenen, griechischen Metren! Mein Gott! Das ist dein ganzes Lob? Diese Verse (um nur von der äußeren Form zu reden) entquollen dem reinsten, weichsten Gemüt, diese Verse, in ihrer Natürlichkeit und Ursprünglichkeit die Kunst und Formgewandtheit Platens verdunkelnd, diese Verse, bald im erhabenen Odenschwung einherwogend, bald in die zartesten Klänge der Wehmut sich verlierend, diese Verse kannst du mit keinem anderen Wort beloben, als mit dem schalen, alltäglichen „Wohlgelungen“? Und das ist wahrlich nicht die größte Ungerechtigkeit. Unklares Gerede und mitunter Tollhäuslergedanken! Aus diesen schnöden Worten leuchtet mir soviel ein, daß du erstens von einem abgeschmackten Vorurteil gegen Hölderlin befangen bist, und zweitens vor allem, daß dir die Werke desselben nichts als unklare Einbildungen sind, indem du weder seine Gedichte, noch seine übrigen Erzeugnisse gelesen hast. Überhaupt scheinst du in dem Glauben zu stehen, als ob er nur Gedichte geschrieben hätte. So kennst du denn also nicht den Empedokles, dieses so bedeutungsvolle dramatische Fragment, in dessen schwermütigen Tönen die Zukunft des unglücklichen Dichters, das Grab eines jahrelangen Irrsinns, hindurchklingt, aber nicht, wie du meinst, in unklarem Gerede, sondern in der reinsten, sophokleischen Sprache und in einer unendlichen Fülle von tiefsinnigen Gedanken. Auch den Hyperion kennst du nicht, der in der wohlklingenden Bewegung seiner Prosa, in der Erhabenheit und Schönheit der darin auftauchenden Gestalten auf mich einen ähnlichen Eindruck macht, wie der Wellenschlag des erregten Meeres. In der Tat, diese Prosa ist Musik, weiche schmelzende Klänge, von schmerzlichen Dissonanzen unterbrochen, endlich verhauchend in düstren, unheimlichen Grabliedern. – Aber das Gesagte betraf vornehmlich nur die äußere Form; erlaube mir nun noch, einige Worte über die Gedankenfülle Hölderlins anzufügen, die du als Verwirrtheit und Unklarheit zu betrachten scheinst. Wenn dein Tadel auch wirklich einige Gedichte aus der Zeit seines Irrsinns trifft, und selbst in den frühern mitunter der Tiefsinn mit der einbrechenden Nacht des Wahnsinns ringt, so sind doch die bei weitem zahlreichsten derselben reine, köstliche Perlen unsrer Dichtkunst überhaupt. Ich verweise nur auf Gedichte, wie ‚Rückkehr in die Heimat‘, ‚der gefesselte Strom‘, ‚Sonnenuntergang‘, ‚der blinde Sänger‘, und führe dir selbst die letzten Strophen aus der ‚Abendphantasie‘ an, in dem sich die tiefste Melancholie und Sehnsucht nach Ruhe ausspricht.

Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;
Unzählig blühn die Rosen, und ruhig scheint
Die goldne Welt; o dorthin nehmt mich,
Purpurne Wolken! und mögen droben

In Licht und Luft zerrinnen mit Lieb und Leid! –
Doch, wie verscheucht von törichter Bitte, flieht
Der Zauber. Dunkel wird’s, und einsam
Unter dem Himmel, wie immer, bin ich.

Komm du nun, sanfter Schlummer! Zu viel begehrt
Das Herz, doch endlich, Jugend, verglühst du ja!
Du ruhelose, träumerische!
Friedlich und heiter ist dann mein Alter.


In anderen Gedichten, wie besonders in dem ‚Andenken‘ und der ‚Wanderung‘, erhebt uns der Dichter zur höchsten Idealität, und wir fühlen mit ihm, daß diese sein heimatliches Element war. Endlich ist noch eine ganze Reihe von Gedichten bemerkenswert, in denen er den Deutschen bittre Wahrheiten sagt, die leider nur oft allzu begründet sind. Auch im Hyperion schleudert er scharfe und schneidende Worte gegen das deutsche ‚Barbarentum‘. Dennoch ist dieser Abscheu vor der Wirklichkeit mit der größten Vaterlandsliebe vereinbar, die Hölderlin auch wirklich in hohem Grade besaß. Aber er haßte in dem Deutschen den bloßen Fachmenschen, den Philister. – In dem nicht vollendeten Trauerspiel ‚Empedokles‘ entfaltet uns der Dichter seine eigene Natur. Empedokles’ Tod ist ein Tod aus Götterstolz, aus Menschenverachtung, aus Erdensattheit und Pantheismus. Das ganze Werk hat mich immer beim Lesen ganz besonders erschüttert; es lebt eine göttliche Hoheit in diesem Empedokles. Im Hyperion hingegen, ob er gleich von verklärendem Schimmer umflossen scheint, ist alles unbefriedigt und unerfüllt; die Gestalten, die der Dichter hervorzaubert, sind ‚Luftbilder, die in Tönen, Heimweh weckend, uns umklingen, uns entzücken, aber auch unbefriedigte Sehnsucht erwecken.‘ Nirgends aber auch offenbart sich die Sehnsucht nach Griechenland in reineren Klängen, als hier; nirgends auch tritt die Seelenverwandtschaft Hölderlins mit Schiller und Hegel, seinem vertrauten Freund, deutlicher hervor.

Nur zu wenig habe ich bis jetzt berühren können, aber ich muß es dir, lieber Freund, überlassen, aus den angedeuteten Zügen ein Bild des unglücklichen Dichters dir zusammenzustellen. Daß ich dir die Vorwürfe, die du ihm wegen seiner widersprechenden Religionsansichten machst, nicht widerlege, mußt du meiner allzu geringen Kenntnis der Philosophie zuschreiben, die ein näheres Betrachten jener Erscheinung im hohen Maße erfordert. Vielleicht unterziehst du dich einmal der Mühe, näher auf diesen Punkt einzugehen und durch die Beleuchtung desselben etwas Licht auf die Ursachen seiner Geisteszerrüttung zu werfen, die allerdings schwerlich hierin ihre einzigen Wurzeln haben.

Du verzeihst mir gewiß, wenn ich mich in meiner Begeisterung mitunter zu harter Worte gegen dich bedient habe; ich wünsche nur – und das betrachte als den Zweck meines Briefes – daß du durch denselben zu einer Kenntnisnahme und vorurteilsfreien Würdigung jenes Dichters bewogen würdest, den die Mehrzahl seines Volkes kaum dem Namen nach kennt.

Dein Freund

FWNietzsche“

Neues Buch von Armin Risi